Barbara Wendelken: Die stille Braut

Ostfrieslands dunkle Seite

Wenn mir – so wie in diesem Fall – der erste Band einer Krimireihe besonders gut gefallen hat, gehe ich mit etwas Bauchgrimmen an den zweiten, denn ich weiß, wie schwer es nach einem Erfolg für den Autor ist, auf gleichem Level weiterzuschreiben.

Die stille Braut hat mich meine Skepsis bereits nach wenigen Seiten vergessen lassen, denn ganz schnell waren die Atmosphäre und die Faszination des ersten Teils, Das Dorf der Lügen, wieder da und die Handlung entwickelte sich so spannend, dass das Niveau des ersten Teils mindestens erreicht, wenn nicht überschritten wird.

Nach einem bedrohlich wirkenden Prolog, dessen Zusammenhang sich erst ganz am Ende erschließt, beginnt die Handlung nur zwei Monate nach dem furiosen Finale des ersten Bandes. Die frisch genesene Oberkommissarin Nola von Heerden aus Leer muss nach dem Fund der sorgsam drapierten Leiche einer seit vier Jahren vermissten, gehörlosen Internatsschülerin schon wieder in Martinsfehn ermitteln, wo sie zu ihrem Leidwesen unweigerlich erneut auf Hauptkommissar Renke Nordmann trifft. Die Stimmung ist angespannt, denn nach einer kurze Phase der Vertrautheit sind die beiden vor zwei Monaten nicht im Guten auseinandergegangen. Dazu erkennt Nola rasch, dass der mit dem Vermisstenfall vor vier Jahren betraute Renke, Revierleiter von Martinsfehn, damals nicht besonders gründlich ermittelt hat; zu sehr war er von seinen privaten Schwierigkeiten abgelenkt.

Bei ihren Nachforschungen taucht Nola Stück für Stück in die Welt des Gehörloseninternats im benachbarten Jemgum ein und fördert nach und nach immer mehr Unglaubliches zu Tage. Weitere Todesfälle machen ihr unweigerlich klar, dass sie im zeitlichen Wettkampf gegen einen Unbekannten steht…

Barbara Wendelkens Krimi, der mit dem Etikett „Regionalkrimi“ nur unzureichend beschrieben wird, ist von der ersten bis zur letzten Seite spannend. Er kann gut unabhängig vom ersten Band gelesen werden, da die Autorin alle nötigen Informationen geschickt einfließen lässt. Trotzdem ist der Genuss noch größer, wenn man die Bände in der richtigen Reihenfolge liest.

Eine Vielzahl falscher Spuren, zahlreiche gut integrierte Nebenhandlungen, sehr detailliert und mit viel Liebe beschriebene Haupt- und Nebencharaktere, die alle sehr lebendig werden, ein immer wieder trotz aller Tragik durchscheinender Humor und ein plausibler, gut durchdachter Plot lassen bei der Lektüre keine Minute Langeweile aufkommen.

Der scheinbar unerschöpfliche Ideenreichtum der Autorin, die keinen Nebensatz ungenutzt lässt, macht mich auch für weitere Bände sehr zuversichtlich. Daneben heben sich die sehr gründliche Arbeit und der gehobene Stil vom Durchschnitt des Genres äußerst positiv ab.

Ich bin auf jeden Fall dabei, wenn in Martinsfehn wieder ermittelt wird, nicht zuletzt um zu erfahren, wie es bei Nola und Renke weitergeht!

Barbara Wendelken: Die stille Braut. Piper 2015
www.piper.de

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